Russland

"Mehrere Ziele" – Wie sich Russlands Offensive im Gebiet Charkow entwickelt

Seit Tagen entwickeln sich die Ereignisse am Frontabschnitt Charkow rasant. Der russische Truppenverband Nord ging am 10. Mai in die Offensive über und überraschte damit das ukrainische Militär. RIA Nowosti berichtet, was im Kampfgebiet passiert.
"Mehrere Ziele" – Wie sich Russlands Offensive im Gebiet Charkow entwickeltQuelle: Sputnik © Stanislaw Krassilnikow

Von Andrei Igorew

Keine Verteidigung

Der russischen Offensive war eine starke Artillerievorbereitung vorausgegangen. Am Himmel waren Drohnen aktiv im Einsatz. Ukrainische Militärressourcen berichteten, dass sich ständig bis zu 30 russische Aufklärungsdrohnen in der Luft befanden, die das Feuer beobachteten.

Später rückten die Sturmgruppen vorwärts. Die Angriffe konzentrierten sich auf zwei Abschnitte – Woltschansk und Lipzy, wichtige logistische Knotenpunkte. Noch wichtiger ist, dass sich dort Artilleriestellungen befinden, die russische Städte beschießen. Zuerst war Kiews Militär durch präzise Artillerie- und Drohnentreffer sichtlich demotiviert und leistete kaum Widerstand. Gleich am ersten Tag wurden über 30 ukrainische Kämpfer gefangen genommen.

Russlands Verteidigungsministerium meldete die Befreiung von gleich fünf Ortschaften im Gebiet Charkow: Borissowka, Ogurzowo, Pletnewka, Pylnaja und Streletschja. Kiews Truppen verloren an einem Tag bis zu 170 Soldaten, drei gepanzerte Kampffahrzeuge und vier Autos. Darüber hinaus wurden ein Vampire-Mehrfachraketenwerfer aus tschechischer Produktion und eine sehr gefährliche 155-Millimeter-Selbstfahrlafette CAESAR, die aus Frankreich geliefert wurde, zerstört. 

Wie sich herausstellte, war die erste ukrainische Verteidigungslinie faktisch nicht vorhanden. Ausgebaggerte Schützengräben und eilig errichtete Unterstände machte die Artillerie dem Erdboden gleich. Unüberwindbare Festungsanlagen, mit denen sich Selenskij jüngst brüstete, gab es an der russisch-ukrainischen Grenze nicht.

Davon berichteten in sozialen Netzwerken die ukrainischen Grenzwächter selbst. Sie beschuldigten die Regierung offen des Diebstahls von Geldern, die für den Bau von Schützengräben, Betonbunkern mit geschützten Laufgräben, Unterständen für das Personal und sonstigem bestimmt waren.

Ziel – Woltschansk

Am Sonntag, den 12. Mai, meldete Russlands Verteidigungsministerium die Befreiung der Dörfer Gatischtsche, Krasnoje, Morochowez und Oleinikowo. Die ukrainischen Verluste beliefen sich auf bis zu 100 Soldaten sowie mehrere Panzerfahrzeuge, darunter zwei Panzer und eine wertvolle CAESAR. Der russische Truppenverband Nord rückte unbeirrt gen Süden vor. Kämpfer von nationalistischen Verbänden "Kraken" und "Tornado" ergaben sich. Inzwischen führen sie Gespräche mit Mitarbeitern der Geheimdienste.

Am Montag rückte die Front nach Woltschansk vor, und die Kämpfe begannen am Stadtrand. Russlands Verbände bereiteten sich auf einen Sturm mit starker Luftunterstützung vor. Jeder von der Luftaufklärung entdeckte Verteidigungsknoten wurde mit Lenkgleitbomben angegriffen. Daraufhin kam die Infanterie zum Einsatz. Es ist die gleiche Taktik, wie in Awdejewka: nicht vorrücken, bevor die feindlichen Stellungen nicht von der Luftfahrt mit Sprengbomben gründlich gesäubert worden sind. Und das funktioniert: Nach Angaben der russischen Militärbehörde erreichten die ukrainischen Verluste 250 Mann an einem Tag.

Am Dienstag bestätigten eine Reihe ukrainischer Quellen, und später auch Russlands Verteidigungsministerium, dass die Vorkräfte des Truppenverbands Nord den Ort Lukjanzy sieben Kilometer nordöstlich von Lipzy besetzt und damit das Aufmarschgebiet an diesem Abschnitt erweitert haben. Gegen Abend wurde Bugrowatka fünf Kilometer westlich von Woltschansk befreit. Die Stadt selbst wird weiterhin eingekesselt. Es gibt Geländegewinne im westlichen und nördlichen Teil von Woltschansk. Während die ukrainischen Hauptstützpunkte vernichtet werden, begradigt sich die Frontlinie, und der Truppenverband vereinigt sich für den weiteren Vormarsch nach Süden und Südwesten in Richtung Charkow.

Weitere Offensive

Ein Blick auf die Karte genügt, um zu erkennen: Das ukrainische Militär wird entlang der gesamten Grenze zurückgedrängt. Russlands Streitkräfte rückten bereits acht bis neun Kilometer tief ins Gebiet Charkow ein. Die Ukraine reagierte erwartungsgemäß mit Angriffen auf Belgorod: Eine taktische Rakete des Typs Totschka-U brachte den Eingang eines Wohnhauses zum Einsturz.

Das Ziel der Offensive ist vermutlich die Einrichtung einer sanitären Zone entlang der Grenze. Darüber sprach der Präsident bereits im vergangenen Jahr bei einem Treffen mit Journalisten. Dem Truppenverband Nord wurde aufgetragen, den Gegner so weit wie möglich zurückzudrängen, um die Wahl der verfügbaren Angriffsmittel einzuschränken. Die Entfernung zwischen Lipzy und Belgorod ist selbst für die Reichweite einer CAESAR-Haubitze zu groß.

Allerdings wird die Offensive kaum an der Linie Woltschansk – Lipzy zum Stillstand kommen. Diese ist nur elf bis zwölf Kilometer von der Grenze entfernt und die HIMARS-Mehrfachraketenwerfer haben eine Reichweite von 80 bis 90 Kilometern. Es gibt Berichte, wonach das ukrainische Militär die Raketenwerfer im bebauten Stadtgebiet von Charkow stationiert und von dort Russlands Territorium beschossen hat.

Gespräche über den Sturm der zweitgrößten Stadt der Ukraine sind bisher verfrüht, doch Charkows Blockade erscheint durchaus logisch: Kiew soll die Möglichkeit verlieren, die Garnison mit Munition und Verstärkungen zu versorgen.

Neben dem Schutz der russischen Territorien vor dem Beschuss löst der Einsatz des Truppenverbands Nord eine weitere wichtige Aufgabe. Die Ukraine verlegt bereits Einheiten und Verbände von anderen Frontabschnitten nach Charkow und entblößt sie damit. So wurden nach Angaben der Vertreter des ukrainischen Militärs mehrere Bataillone aus Cherson abgezogen. Doch bis sie ihr Ziel erreichen, kann sich die Frontlinie noch stark ändern.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 15. Mai bei RIA Nowosti.

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